Berufsschule
Nachwuchs im Handwerk: Aus Afghanistan an die Spitze des deutschen Handwerks
Nachwuchs im Handwerk: Aus Afghanistan an die Spitze des deutschen Handwerks
Graben-Neudorf. Am frühen Morgen prasselt der Regen über Graben-Neudorf, doch die Laune von Roholla Majidi ist ungetrübt: Der junge Mann ist längst auf den Beinen, die Baustelle ruft: In einem Wohnhaus einige Straßen weiter muss an diesem Tag tapeziert und gestrichen werden. „Genau das, was ich am liebsten mache“, sagt Majidi. Der 22-Jährige weiß, wovon er spricht: Gerade hat er die Ausbildung zum Malergesellen abgeschlossen – als einer der Jahrgangsbesten.
Er trägt ein hellgrünes T-Shirt, darauf der Name seines Betriebs: „Stuckateur und Maler Decker“. Dort ist man mächtig stolz auf den Nachwuchs – auch, weil lange alles andere als ausgemacht war, dass Roholla Majidi einmal zwischen Kraichgau und Hardt tagtäglich mit Pinsel, Bürste und Rolle zugange sein würde. Im Iran geboren und in Afghanistan groß geworden flüchtete er als 14-Jähriger gemeinsam mit seinen Eltern Richtung Europa – „über die Türkei, Griechenland, Serbien und Ungarn nach Österreich und die Schweiz“, zählt Majidi die einstige Fluchtroute auf. In der europäischen Fremde eine Heimat zu finden – für die Familie war das keine leichte Aufgabe: Nach einem Jahr in Schweden strandete Majidi schließlich in Graben-Neudorf, besuchte in Bruchsal die Hauptschule und war gerade auf dem Weg zum Realschulabschluss – bis eine Nachricht sein bisheriges Leben auf den Kopf stellte: „Ich sollte abgeschoben werden“, blickt Majidi auf diese Zeit zurück. Der Aussichtslosigkeit, Konflikt und Gewalt in seiner afghanischen Heimat zum Trotz galt das Land in der Lesart der Behörden lange als „sicher“ – wer wie Roholla Majidi von dort nach Deutschland kam, konnte zurückgeschickt werden.
Seine Rettung: Das Handwerk. „Wer eine Ausbildung macht, erhält eine Duldung“, erklärt Conny Decker, die gemeinsam mit ihrem Mann Volker Decker den Stuckateurbetrieb in Graben-Neudorf in zweiter Generation führt. Den Kontakt vermittelte ein Nachbar, schnell war klar: „Roholla passt zu uns“, sagt Conny Decker.
Der angehende Azubi unterschreibt seinen Arbeitsvertrag in einer Zeit, in der das Handwerk händeringend Nachwuchs sucht – seit Jahren bleiben auch in der Region hunderte Lehrstellen offen. Für das im September beginnende Ausbildungsjahr listet die Handwerkskammer Karlsruhe rund 300 Betriebe, die noch immer auf einen Azubi hoffen – doch schon jetzt steht fest: Der Fachkräftemangel spitzt sich weiter zu.
Bei Stuckateurmeister Volker Decker ist von diesem Trend bislang wenig zu spüren: „Wir konnten unsere Ausbildungsplätze in den letzten Jahren meist besetzen“ – auch dank Menschen wie Roholla Majidi, der sich als Botschafter für die Ausbildung im Handwerk versteht. Weil er den Berufsschulabschluss an der Bruchsaler Balthasar-Neumann-Schule 1 als einer der Jahrgangsbesten absolviert hat, wurde er von der Sto-Stiftung zu einem der 120 deutschlandweit besten Azubis seines Fachs gekürt. Für alle, die noch zögern, selbst zu Pinsel und Farbe zu greifen, hat der Youngster einige Tipps parat: „So anstrengend, wie oft behauptet wird, ist die Arbeit im Handwerk überhaupt nicht“, findet er. Und: Worauf es ankomme, um seinen Job gut zu machen, unterscheide sich im Grunde doch gar nicht von anderen Berufen: „Pünktlichkeit steht an erster Stelle“, sagt er. „Wer dann noch freundlich und zuverlässig ist und ein bisschen anpacken kann, der wird ein guter Maler“, meint Majidi. Seine Zukunftspläne sind klar: „Ich will unbedingt den Führerschein machen.“ Danach kann sich der 22-Jährige eine Weiterbildung bis hin zum Meister vorstellen. „Aber erstmal bleibe ich hier“, sagt er. Conny Decker nickt zufrieden: „Natürlich versuchen wir, unsere Azubis lange zu halten. Sie sind unsere Zukunft.“
18 Mitarbeiter zählt ihr Betrieb heute, das Team: längst multikulturell. Majidi ist nicht der einzige Mitarbeiter mit Flucht-Geschichte, ein Kollege ist einige Jahre zuvor ebenfalls nach Deutschland geflüchtet, wo er die Ausbildung begonnen hat. „Seitdem hat sich bürokratisch vieles vereinfacht“, sagt Conny Decker und klingt dabei erleichtert. Was sich durch die Neuen im Team verändert hat? Kaum etwas, findet Volker Decker – und spricht dann doch einen Punkt an: „Früher haben wir bei den Festen im Betrieb immer Bratwürste auf den Grill gelegt“, erinnert er sich. „Heute geht das nicht mehr so einfach“, sagt er und lacht. Für Majidis Gesellenfeier haben sie sich deshalb etwas Neues einfallen lassen: „Wir haben im Hof eben einen Dönerspieß aufgebaut. Der hat auch allen geschmeckt.“
Dann endet das Gespräch, die Uhr zeigt acht, der Regen fällt noch immer über Graben-Neudorf. Roholla Majidi ist trotzdem nicht zu bremsen – er will pünktlich auf der Baustelle ankommen.
Bild und Text (David Heger):
Youngster im Handwerk: Mit einem meterhohen Schild auf dem Betriebsgelände – dem Gesellenbaum – gratulieren Volker und Conny Decker Roholla Majidi zur erfolgreichen Ausbildung.