An der Balthasar-Neumann-Schule wurden Autos zerstört!

An der Balthasar-Neumann-Schule wurden Autos zerstört!

Was in der Realität immer noch eine Straftat ist, trotz der dringend notwendigen Verkehrswende, das ist in der Kunst möglich! In der nicht-öffentlichen Inszenierung von Hermann Hesses „Steppenwolf“ des Karlsruher Ensembles „TheatermobileSpiele“ am 5. April 2022 an der Balthasar-Neumann-Schule, zerstörte der Protagonist zusammen mit seinem Jugendfreund zahlreiche Autos. In der Inszenierung geschah dies in Form eines Videospiels, trotzdem bleibt die Frage: Was soll das? Hier müssen wir etwas ausholen.

Harry Haller, der Protagonist von Hermann Hesses „Steppenwolf“ leidet unter einer gespaltenen Persönlichkeit: einerseits ist er Mensch und will Teil der bürgerlichen Gesellschaft sein, andererseits spürt er in sich etwas, das gegen die bürgerlichen Werte und Regeln rebelliert. Dieses Etwas nennt er „Steppenwolf“. So ist er beispielsweise zu einem Essen bei einem alten Freund eingeladen, den er seit langer Zeit nicht mehr gesehen hat. Als er ein kitschiges Goethe-Bild erblickt und der Freund seine pazifistischen Ansichten abwertet, da meldet sich sein „innerer“ Steppenwolf. Von diesem „angestachelt“ beschimpft und beleidigt er den Freund und verlässt fluchtartig das Haus. Nun melden sich wieder seine bürgerlichen Anteile: Haller ist verzweifelt aufgrund seines erneuten Scheiterns innerhalb der bürgerlichen Sphäre und möchte sich umbringen, findet dann aber unerwartet Hilfe von einer Escort-Dame namens Hermine, die ihn instinktiv versteht und weiß, wie sie mit ihm umzugehen hat. Diese führt ihn zusammen mit weiteren Personen in die Welt der Jazz-Clubs ein, lehrt ihn das Tanzen und seine Geliebte Maria, eine Freundin und Kollegin Hermines, lässt ihn die sexuelle Hingabe spüren. Damit lässt Haller Seiten seiner Persönlichkeit zu, die er unter einer elitär-bürgerlichen Fassade versteckt hat. Hesses Antwort auf diese duale Persönlichkeitsspaltungs seines Protagonisten Haller ist ein souverän-spielerischer Umgang mit seinen verschiedenen Persönlichkeitsfacetten; das Leben soll als Spiel begriffen werden, dabei ist es wichtig, immer mit Humor durch die Welt zu gehen. Dieser Lernprozess ist wird dann das Hauptthema des Romans, der seinen  Abschluss (und Höhepunkt) in Hallers Besuch des „Magischen Theaters“ findet. Hier kann er – enthemmt durch bewusstseinserweiternde Substanzen – einen Schritt weitergehen und eine Entdeckungsreise in sein eigenes Ich unternehmen. Dabei kommen auch widersprüchliche und verdrängte Persönlichkeitsfacetten zum Vorschein. Der offen pazifisch eingestellte Haller findet beispielsweise Spaß daran, zusammen mit seinem Jugendfreund Gustav – eigentlich Theologieprofessor! – Autos zu zerstören und ihre Insassen zu töten.

Das Ensemble von „Theater im Klassenzimmer“ bietet besondere Theatererlebnisse, da man als Zuschauer nicht „out of classroom“ in ein Theatergebäude geht und dort die ganze notwendige Technik verbaut ist… Nein, um 8:00 Uhr, knapp zwei Stunden vor Beginn der Aufführung, kam ein kleiner Transporter mit den Bühnenaufbauten und Requisiten an die Schule und ca. 10 Schülerinnen und Schüler halfen unter Anleitung des Schauspielers und der Theaterpädagogin beim Aufbau mit: schon vor der Aufführung sehr lehrreich und für ein Technisches Gymnasium sehr passend! Auch sonst war es ein ganz besonderes Theaterstück, da nur ein Schauspieler (Julian W. Koenig) sämtliche Rollen – Frauen wie Männer – spielte. Unterstützt von Videoprojektionen spielte dieser quasi mit sich selbst. Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass die meisten der anderen Personen auch als Persönlichkeitsabspaltung Hallers begriffen werden können.

Die Aufführung war überraschend kurzweilig und hielt sich doch an den so charakteristischen Aufbau des Romans, der in meinen Augen einige Längen und Redundanzen enthält. Das Skript, das auf Anfrage zugeschickt wird und vorbereitend im Unterricht eingesetzt werden kann, besteht ausschließlich aus Originalzitaten aus dem „Steppenwolf“. Der Schauspieler und die Theaterpädagogin waren in der anschließenden Diskussion sehr um die Rückbindung des Stückes an die Vorlage bemüht. So kann die Aufführung guten Gewissens auch skeptischen Deutschlehrerinnen und –lehrern empfohlen werden, die befürchten, dass künstlerische Umsetzungen von Pflichtlektüren von der eigentlichen literarischen Vorlage nur ablenken und deswegen vor allem kurz vor Klassenarbeiten und Prüfungen abzulehnen sind – das Gegenteil ist hier der Fall.

Für die meisten Schülerinnen und Schüler aus der  1. und 2. Jahrgangsstufe des Technischen Gymnasiums war dies die erste kulturelle Schulveranstaltung seit Beginn der Corona-Pandemie.

(Bernd Grün, BNS1)